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"Wer noch nie 3,1 Milliarden Euro Steuergeld verschwendet hat, der werfe den ersten Stein" – ein Gastbeitrag von Jens Spahn (CDU)

Zugegeben: Das alles mit der Maskenbeschaffung und der Begünstigung von Firmen von Parteikollegen kann auf den ersten Blick ein schlechtes Licht auf mich werfen. Okay. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen: Hat nicht jeder von uns schonmal irgendwann in seinem Leben mal 3,1 Milliarden Euro Steuergeld verschleudert?

Klar: Hinterher kann es ja jeder besser wissen. Aber vorher, da wusste es eben nur fast jeder besser. Meine Ministerialberater. Die Gutachter. Die Opposition. Juristen. Aber ich eben nicht. Und ich war halt zufällig Gesundheitsminister und habe so entschieden.

Wem das noch nicht passiert ist, der werfe den ersten Stein!

Dass jetzt eine Hetzjagd seitens der Grünlinken auf mich veranstaltet wird, nur weil ich nicht bereit bin, irgendeine Art von Konsequenz aus meinem Verhalten zu ziehen, ist unter aller Sau. Haben diese Leute sich schon einmal überlegt, wie doof und unangenehm sich Konsequenzen anfühlen? Das kann doch niemand wollen, dem mein Wohl wirklich am Herzen liegt.

Und zu den 3,1 Milliarden Euro… Seien wir ehrlich: Das ist noch nicht mal viel Geld. Ein Elon Musk etwa würde darüber herzlich lachen. 3,1 Milliarden Euro: Das sind nicht mal 40 Euro pro Bürger vom Säugling bis zum Greis. Und 40 Tacken wird ja wohl jeder für so ein kleines Malheur übrighaben.

Zugegeben: Man hätte für die 3,1 Milliarden Euro Schulen sanieren können, Armut bekämpfen, Obdachlosigkeit verhindern, die Stromsteuer senken, aber man sollte auch bedenken, dass Firmen wie Emix oder Fiege, die zufällig in meinem Nachbarwahlkreis sitzt, das Geld ja ebenfalls sehr gut gebrauchen können. Das stärkt die Wirtschaft.

Und anstatt mich zu verfolgen, könnte man ja auch mal dorthin schauen, wo in diesem Land wirklich Missstände herrschen: Da gibt es freche Arbeitslose, die den Staat teilweise um Centbeträge im Hunderter- bis Tausenderbereich betrügen – das sind zwei bis drei mehr Nullen als mein einstelliger Milliardenbetrag. Doch darüber schweigt man sich links der Mitte natürlich wieder aus, wir kennen es.

Aber nun noch einmal zur Sache: Dass mehrere meiner Unionskollegen wie Andrea Tandler von der CSU profitiert haben und Millionen an Provision abkassiert haben, ist selbstverständlich reiner Zufall. Da kann ich doch nix dafür, wenn Sozis keinen Riecher für ein gutes Geschäft haben und auch nicht meine Handynummer, wenn's drauf ankommt.

Außerdem gebe ich zu bedenken, dass es sich bei dem Vorfall allgemein um gelebte Unionskultur handelt. Korruption, Versagen und das Nichtziehen von Konsequenzen liegen einfach in unserer DNA.

Schauen Sie sich zum Beispiel mal den Andi Scheuer an. Der hat auch über 500 Millionen bei seinem Mautdesaster verpulvert. Und hat es ihm jemand übelgenommen? Musste er zurücktreten oder sonst irgendwelche Konsequenzen aus seinem Versagen ziehen? Nein. Da wäre es doch komplett unfair, wenn ich jetzt dafür plötzlich belangt werden würde.

Abschließend kann ich Ihnen nur sagen: Ich habe ein reines Gewissen. Wenn Sie es sehen könnten, wären Sie erstaunt über seine Unschuld und Reinheit. Es ist ein Gewissen, wie es sonst nur ganz neugeborene Babys haben. Wenn Sie den sprichwörtlichen ersten Stein auf mich werfen, töten Sie ein unschuldiges Kind. Überlegen Sie sich gut, ob Sie diesen Preis zahlen wollen.

Foto: Imago
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