Menschen im Jemen wünschten, sie wären abgebrannte gotische Kathedrale

Sanaa (dpo) - Das würde vieles einfacher machen: Immer mehr Menschen im Jemen wünschen sich seit Montagabend, sie wären eine abgebrannte Kathedrale aus dem Mittelalter. Damit wäre ihnen angesichts der laut Beobachtern schlimmsten humanitären Krise der Welt zumindest mediale Aufmerksamkeit und finanzielle Unterstützung sicher.

"Ach, hätte der Jemen bloß schöne Buntglasfenster und ein Chorgestühl aus dem 16. Jahrhundert und wäre dann teilweise abgebrannt!", seufzt etwa der 19-jährige Amar al-Wadi'i, der gerade mit einer Kopfverletzung auf medizinische Behandlung wartet. "Politiker würden sich überbieten, uns zu helfen. In den sozialen Netzwerken würde man über uns trauern. Superreiche würden uns spontan und medienwirksam mit Millionen-Spenden überhäufen."
Abgebrannte gotische Kathedrale müsste man sein...
Stattdessen ignoriere die Welt den Umstand, dass die USA auch weiterhin ihren Verbündeten Saudi-Arabien unterstützen, im Jemen hemmungslos Krieg zu führen. Auch auf Rüstungsexporte an Saudi-Arabien und seine Verbündeten möchte kaum ein Land verzichten. Internationale Spenden reichen bei weitem nicht aus, um den 20 Millionen an Hunger leidenden Menschen zu helfen.
Die 41-jährige Sumaya Khaldun, die letzten Monat zwei ihrer Kinder verlor, will inzwischen ebenfalls ein historisches Kirchengebäude sein: "Manchmal wünsche ich mir einfach, wir alle hier wären ein altes gotisches Gemäuer, in dem es oben brennt", erklärt sie. "Denn in unserer jetzigen Gestalt interessiert sich leider niemand dafür, in welchem Zustand sich unser Land befindet. Keiner will es innerhalb von fünf Jahren wieder aufbauen."
Kurz darauf bombardieren zwei saudische Kampfjets ein nahegelegenes Viertel. "Jetzt brennt es", erklärt Khaldun und zeigt auf die Rauchsäule. "Das ist an sich nicht falsch. Aber es ist eben keine alte Kathedrale, sondern nur Häuser und Menschen."
ssi, dan; Foto oben: picture alliance/Hani Al-Ansi/dpa, Foto unten: Louis H.G., CC BY-SA 4.0
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