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Bild-Chef Reichelt: "Wenn mein 11-jähriges Kind fünf Geschwister verloren hätte und unter Schock seinem 12-jährigen Freund WhatsApp-Nachrichten dazu schreibt, hätte ich auch gern, dass ganz Deutschland sie lesen kann"

Berlin (dpo) - Klartext vom Chef der "Bild"-Zeitung! Julian Reichelt erklärte heute gegenüber dem Postillon, dass - sollte eines seiner eigenen Kinder jemals alle Geschwister verlieren - er es absolut gutheißen würde, wenn Chats des überlebenden Kindes in einer großen Tageszeitung veröffentlicht würden.

"Als Chefredakteur einer großen Zeitung denke ich natürlich viel darüber nach, wie wir über solche Tragödien berichten sollen", so Reichelt. "Aber ich komme jedes Mal wieder zu dem Schluss: am besten möglichst reißerisch, intensiv und ohne falsche Rücksicht auf die Gefühle der Angehörigen. Wenn auf der Autobahn ein Unfall passiert, dann will man ja auch extra langsam dran vorbeifahren und jedes Detail sehen."

Denn genau dasselbe würde sich Reichelt auch wünschen, sollte selbst einmal ein Kind von ihm alle Geschwister verlieren. "Dann müssten auf jeden Fall wie jetzt in Solingen ein paar Dutzend Reporter ausschwärmen und versuchen, alles darüber rauszufinden. Wie fühlt sich ein 11-Jähriger, wenn die eigene Mutter mutmaßlich seine fünf Geschwister ermordet hat? Stehen vor der Haustür noch die Schuhe der toten Kinder? Gibt es Fotos auf Facebook, die man klauen kann? Was sagen x-beliebige Anwohner zu dem Vorfall?" 

Screenshot Bild.de:

Zudem würde Reichelt wollen, dass er und seine Familie möglichst überall gefilmt werden, um keine Träne zu verpassen. Schulfreunde seines überlebenden Kindes müssten solange belästigt werden, bis sie private Chatverläufe herausgeben. Niemand dürfe auch nur eine Sekunde haben, um das Geschehene zu verarbeiten. "Sonst besteht das Risiko, dass man nicht mehr genug unter Schock steht, um alle Fragen zu beantworten, oder sich gar juristisch wappnet", so Reichelt.

Um möglichst viel aus den Geschehnissen in Solingen herauszuholen, veröffentlichte die BILD-Zeitung daher seit Bekanntwerden der Tat nicht nur eine kurze Meldung, in der nüchtern die Ereignisse geschildert werden, sondern berichtete minutiös in Online-Artikeln und Videos mit Titeln wie "Drama in Solingen (NRW) - Mutter soll fünf ihrer Kinder getötet haben", "Überlebender Sohn an Klassenkameradin - "Ich werde nicht mehr kommen, weil meine Geschwister tot sind"", "Es war Mord – Haftbefehl gegen Christiane K. (27)", "Fünffach-Mord in Solingen - Vor der Tür stehen noch die Schuhe der toten Kinder" (Video), "Freund (...) telefonierte mit dem Sohn, der überlebte" (inzwischen gelöscht), "Neue Details zum fünffach-Mord - Mutter soll Kinder vermutlich betäubt und erstickt haben" (Video), "Profiler über Kindstötungen - Das typische Profil solcher Täterinnen" (Video), "Mutter soll fünf ihrer Kinder getötet haben - Das zerstörte Glück", "Das Todes-Drama von Solingen - Sie deckte den Frühstückstisch, dann erstickte sie ihre Kinder - Wie Ermittler die Horror-Tat rekonstruieren", "5 tote Kinder in Solingen - Plötzlich tauchte ein Rocker-Club am Mord-Haus auf" (Video) oder "Für Luca (8), Timo (6), Sophie (3), Leonie (2) und Melina (1) - Solingen weint um fünf kleine Engel" (5.9.).

Garniert sind diese Meldungen und Videos mit Hochzeitsfotos, Bildern eines Schuhregals vor der Wohnung, Fotos von Gerichtsmedizinern, die Kinderleichen aus der Wohnung tragen und anderen privaten Bildern, derer die BILD-Redaktion irgendwie habhaft werden konnte.

Reichelt, der mehrere der Meldungen hinter einer Bezahlschranke stehen lässt, um noch ein paar Abonnenten zu werben, wäre also zufrieden mit der Berichterstattung seines Blattes, gäbe es da nicht einen kleinen Wermutstropfen: "Die Kollegen von RTL berichten ähnlich intensiv über den Fall", ärgert er sich. "Das ist natürlich schlecht für unser Geschäft. Wirklich ärgerlich, dass es in Deutschland noch Medien gibt, die genauso schamlos sind wie wir!"

ssi, dan, sge; Foto oben: dpa; Erschien schon einmal so ähnlich.
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